TextWald
 





 


Achtung vor polierten Gläsern!

Ich gebe es zu: Auch ich schaue mir die Fernsehwerbung an. Meistens unfreiwillig, um die Fortsetzung des Films nicht zu verpassen. Nur selten gibt es leider gute und witzige Werbespots. Die meisten sind eher langweilig. Und dann gibt es noch die ganz schrecklichen und nervenden. Aber über die kann man so richtig schön lästern.
Da gibt es zum Beispiel eine Frau, die so verzweifelt versucht, ihre Gläser nachzupolieren - ohne Erfolg. Vermutlich kann sie keine Nacht mehr ruhig schlafen und sich auch nicht mehr auf die Arbeit konzentrieren. Denn es ist ein Albtraum: Jedes Mal, wenn sie von der Arbeit nach Hause kommt, nimmt sie sich vor, ihren Nachbarn zu einem Glas Wein einzuladen. Sie geht in die Küche, öffnet die Spülmaschine und stößt einen spitzen Schrei des Entsetzens aus: Die frisch gespülten Gläser haben ganz schreckliche Kalkflecken. Welch eine Tragödie!
Vermutlich hat ihr eines Tages dann eine gute Freundin einen Tipp gegeben. Ich nehme an, es ist Frau Sommer gewesen, die früher schon immer wusste, dass nur der geadelte Spitzenleistungs-Kaffee der einzig genießbare ist.
Jedenfalls hat Frau „Gläser-nachpolieren“ dann endlich Erfolg. Das Geheimrezept ihrer Freundin hat gewirkt und ihre Gläser strahlen endlich so wie der Diamant, den sie gern am Finger tragen würde.
Und jetzt will sie ihre Drohung in die Wirklichkeit umsetzen. Sie will die „Sache“ mit dem Nachbarn angehen. Mir wird ganz unwohl bei diesem Gedanken. Ich möchte ihn gern warnen und ihm zurufen: „Pass auf! Lass die Finger von ihr! Das ist ein hysterischer Putzteufel!“
Denn ich frage mich, was wohl nach dem „Gläser nachpolieren“ kommen mag. Etwa „angetrocknete Auflaufformen schrubben“? Oder „Fleckenzwerge aus den weißen Hemden verscheuchen“?
Ich stelle mir vor, dass sie eines Tages den netten Nachbarn mit ihren hochglanzpolierten Gläsern hypnotisiert hat und er freiwillig in ihre Wohnung einzieht. Bestimmt macht er ihr irgendwann zu viel Schmutz und dann holt sie das Alles-Wisch-und-Weg-Tuch aus ihrer Schublade und wischt ihn einfach vom Sofa. Das soll es auch schon gegeben haben. Ich schwör 's. Ich habe es selbst in der Fernsehwerbung gesehen.

(Februar 2001)


 


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