Neulich auf dem Weg zur Arbeit erhielt ich einen kleinen Einblick, wie
sich manch einer zwischen Haustür und Bürotür verwandelt. Wie fast immer
staute man sich durch das Städtchen in Richtung Autobahn. Anfahren,
bremsen, auskuppeln, stehen, dasselbe immer wieder von vorn. Während wir
im Schritttempo so vor uns hin rollten, fiel mein Blick in den
silberfarbenen Kleinwagen vor mir. Der Fahrer oder die Fahrerin schien
sich gerade im Gesicht einzucremen. Hatte wohl verschlafen und war schnell
aus dem Bett ins Auto gesprungen, dachte ich mir. Das Tupfen und Reiben
nahm kein Ende. Ich schaute fasziniert zu, während ich überlegte, wie viel
Creme die Gesichtshaut verträgt, ohne zu verstopfen oder fettig zu werden.
Angestrengt versuchte ich zu erkennen, wer da im Auto vor mir saß, denn
von hinten durch die Scheiben sah ES eigentlich aus wie ein Mann. Zwei
Kilometer weiter war ES immer doch mit Eincremen beschäftigt. Kurz vor
einer Kreuzung wechselte das Fahrzeug die Spur und stand nun links eine
halbe Wagenlänge vor mir. Ich lugte immer wieder hinüber und konnte mich
des Eindruck nicht erwehren, dass es sich um einen Mann handelte. Dann
griff die Hand nach rechts zum Beifahrersitz und tauchte mit einer Schere
auf. Es wurde etwas Kleines aufgeschnitten und der Inhalt im Gesicht
verteilt. Ich war verblüfft über dieses fahrbare Kosmetikstudio. Dann
schaltete die Ampel auf Grün, der Verkehr floss endlich zügig und unsere
Wege trennten sich. Ich stellte mir vor, wie die weitere Verwandlungsfahrt
aussehen würde: beim nächsten Ampelstopp ein wenig Lidschatten auftragen,
auf der Landstraße die Lippen bepinseln und auf dem Parkplatz noch schnell
die Perücke aufsetzen, dann würde ES als perfekte Frau aus dem Auto
steigen. Aber noch eine andere Frage beschäftigte mich: Wie kommt ES an
seinem Ziel an, wenn morgens kein Stau ist?
(März 2002)

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