Es gibt doch
immer wieder Erstaunliches aus dem Leben anderer Leute zu erfahren. So zum
Beispiel das, was ich aus dem Kreis einiger
Arbeitskolleginnen höre.
Wir sind eine ganze Gruppe von Zeitarbeitsleuten, die für ungefähr einen
Monat zusammenarbeiten. Ich bin schon ein richtiger „Oldie“, die
meisten sind noch unter dreißig und es sind einige Mädels Anfang Zwanzig
dabei. Nach all dem, was ich bisher gehört habe, wage ich zu bezweifeln,
dass die Jugend von heute fortschrittlicher und aufgeklärter ist als wir
damals.
Da ist zum Beispiel eine 23-Jährige – nennen wir sie Jenny. Jenny ist
eine richtige Nervensäge. Sie redet ununterbrochen und erzählt jedem, ob
er es hören will oder nicht, Details über ihr Leben. Als Kollegin muss
man zwangsläufig an ihrem Leben teilnehmen. Während man verzweifelt
versucht, sich auf die Arbeit zu konzentrieren, erfährt man, dass sie von
allen „Charly“ genannt wird, ihr Vater wahnsinnig gerne grillt, ihr
Neffe Jean-Michel mit elf Jahren bereits ein Handy hat und es am Sonntag
bei ihrer Freundin Spargel gibt. Jenny ist Single oder besser gesagt, sie
hat keinen Freund. Denn Single ist nicht der passende Begriff für dieses
naive Mädchen. Und Jenny ist schwanger. Ihr Kind stammt von einem
verheirateten Mann. Das soll ja durchaus hin und wieder vorkommen.
Allerdings ist dieser Mann durch irgendwelche, nicht genau zu
durchschauende Bande mit ihrer Familie verknüpft. Dies führt hin und
wieder zu Konflikten, da sich Ehefrau und Jenny auf keinen Fall bei
gemeinsamen Bekannten oder Verwandten begegnen wollen.
Kollegin Nummer Zwei heißt Manuela, ist gerade 22 geworden und gehört zu
dem Typ „blondgefärbt und bauchfrei“. Manuela steht in heftiger
Konkurrenz zu Jenny, was das Reden betrifft. Zusammen sind die Beiden das
unschlagbare „Wir-gehen-euch-auf-die-Nerven“-Team. Sie benutzen unser
Büro als Durchgangsraum, denn der Weg durch die eigene Tür ist ja so
viel weiter. Also geht es ständig „Tür auf, Tür zu, Tür auf ...“ Auch Manuela hat es nicht leicht. Ihr Freund ist bereits zweifacher Vater
und sie lebt in ständiger Angst, dass er sich plötzlich doch wieder für
die Frau seiner Kinder entscheiden könnte. Mehrmals am Tag führt sie
private Telefongespräche, die natürlich jeder mithören kann bzw. muss.
An ihrem Tonfall ist sofort zu erkennen, wenn sie mit ihrem Freund
spricht, denn dann ist sie gereizt, genervt, unfreundlich und oft auch
kurz angebunden. Es muss eine wahre Freude sein, in solch einer Beziehung
zu leben. Sie freut sich sicherlich jeden Abend, wenn sie ihn sehen darf
– oder sehe ich das etwa falsch???
Schließlich ist da noch Kollegin Nummer Drei, ein zartes blondes Mäuschen
Anfang Zwanzig namens Sissy. Auch sie trägt ein schweres Leid. Da war sie
doch fünf Jahre mit ihrem 24-Jährigen Freund zusammen, und kaum waren
sie einmal für zwei Monate getrennt, lernt er eine andere kennen, die
prompt von ihm schwanger wird. Nun ist das Baby da und Sissy plagt sich
mit schlimmen Gedanken. Es könnte doch sein, dass er sich wieder in diese
Frau verliebt, wenn er sie und das Baby besucht. Genauso, wie er sich nach
diesem Ausrutscher wieder in Sissy verliebt hat. Aber Sissy ist ja so lieb
und nett und kauft selbstverständlich auch ein Geschenk für das Baby.
Und am nächsten Tag sitzt sie mit leuchtenden Augen am Schreibtisch und
verkündet, das Baby sei ja so süß und es könne nun wirklich nichts dafür.
Ich sehe und höre dies alles und staune über die modernen jungen Frauen
heutzutage. Ich bewundere sie, wie sie mit all diesen schwierigen
Situationen umgehen. Aber sie scheinen sich ja damit absolut wohl zu fühlen.
Beneidenswert ;-)
(Juli 2001)

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