Die Frage "Ist das natürlich oder künstlich?" können heute viele Frauen mit
"Natürlich künstlich!" beantworten. Oft müsste man ihnen diese Frage gar nicht
stellen, sieht man doch auf den ersten Blick, dass es sich nicht um ein
natürlich gewachsenes Körperteil handelt. Ob Silikonbusen, verlängertes Haar
oder künstliche Fingernägel – der Verschönerung sind beinahe keine Grenzen
gesetzt. Die Frau möchte doch dem Mann gefallen. Und so verschönert sie das, was
dem Männerauge am Herzen liegt. Aber auf welches Körperteil fällt der männliche
Blick denn nun zuerst? Je nachdem, wen man fragt, bekommt man eine andere
Antwort und fast jeder kann dies mit Untersuchungs- oder Umfrageergebnissen
belegen. Nach landläufiger Meinung fallen die Blicke der meisten Männer zuerst
auf den Busen einer Frau. Dies sei falsch, las ich vor einiger Zeit im Magazin
einer Zeitschrift, tatsächlich fiele der erste Blick auf das Haarkleid. Auch das
stimme nicht, so lautet eine dritte Meinung, es seien die Hände, die neunzig
Prozent aller Männer anziehen. Welche dieser Behauptungen wahr ist und welches
der widersprüchlichen Untersuchungs- und Umfrageergebnisse am ehesten der
Realität entspricht, sei dahin gestellt. Tatsache ist, dass die letzte
Behauptung bei immer mehr Frauen auf fruchtbaren Boden zu fallen scheint.
Natürlich hat eine Frau gern schöne Hände, und wenn ihr diese Schönheit nicht in
die Wiege gelegt worden sein sollte, kann sie auch gern ein wenig nachhelfen.
Auffallend ist jedoch, dass der neue Trend zur übertriebenen Künstlichkeit hin
geht, die man schon auf große Distanz als solche erkennt. Unverkennbar falsch
sind diese unnatürlich dicken und zur „Spitze“ hin breiten, eckigen und
weißrandigen Fingerverlängerungen. Kein Wunder, wenn sie als sehr viel haltbarer
angepriesen werden als die echte Variante. Ein Pappkarton ist ja auch stabiler
als ein Blatt Papier. Ob es einem nun gefällt oder nicht, ist die eine Sache, ob
man damit den Mann oder die Männer beeindrucken kann, eine andere. Aber dass
die künstlichen Verlängerungen durchaus Auswirkungen auf das alltägliche Leben
haben, kann man zum Beispiel im Fernsehen lernen. Es ist fast unglaublich, aber
ich habe mit eigenen Augen gesehen, dass es anscheinend einen direkten
Zusammenhang zwischen den Plastikverlängerungen und den Umgang mit Tieren gibt.
In einer Tier-Nanny-Sendung traten unabhängig voneinander zwei
Hundebesitzerinnen auf, die beide an den Händen zum Verwechseln ähnlich gestylt
waren. Von Hundeerziehung hatten sie jedoch beide absolut keine
Ahnung. Schlimmer jedoch sind die Folgen für die Hände. Zum einen müssen sie
auf unnatürliche Bewegungen umgeschult werden. Vorbildlich gezeigt hat uns dies
eine sehr junge Frau in einer Casting-Show für Gesangstalente. Ihre Veranlagung,
ständig in Tränen auszubrechen, passte ganz und gar nicht zu ihren gestalteten
Fingern. So war sie nicht in der Lage, sich mit der normalen Handhaltung – also
Handfläche zum Gesicht hin – die Augen auszuwischen, sondern musste die Hände um
hundertachtzig Grad drehen. Reichlich ungelenk befreite sie sich auf diese Weise
mit dem Handrücken vom Nass, anders jedoch hätte sie sich ohne Zweifel die Augen
ausgekratzt. Glücklich sind in solchen Situationen jene Menschen, die ihre
Finger nach hinten biegen können, aber das nur am Rande erwähnt. Für manche
Arbeiten sind diese gestylten Hände vermutlich überhaupt nicht mehr tauglich und
böse Zungen könnten da behaupten, bei so mancher Frau sei dies der eigentliche
Grund ihrer Verschönerung. Übrigens erzählte mir kürzlich ein Mann, er meide
im Supermarkt Kassiererinnen mit langen, künstlichen Fingernägeln – weil die
nämlich Löcher in die Jogurtdeckel pieken.
(November 2005)

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