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Nobody is perfect – oder etwa doch?

Kein Mensch ist perfekt. Das denke ich eigentlich. Aber in unregelmäßigen Abständen werde ich eines Besseren belehrt: Es gibt sie anscheinend doch: Die perfekten Menschen.
So saß ich vor vielen Jahren zum Beispiel in einem Straßencafé in Frankreich. Da sah ich sie plötzlich am Nebentisch. Sie trug ein schlichtes weißes T-Shirt zu einer Jeans und sah trotzdem tausend Mal besser aus als ich. Sie war perfekt. Ich schielte neidisch zu ihr hinüber und kam mir vor wie eine graue Maus.
Ein anderes Mal stand ich ungefähr drei Stunden vor dem Kleiderschrank, um das passende Outfit für die Party zu finden. Schließlich schaute ich mich zufrieden im Spiegel an und machte mich mit dem Gefühl auf den Weg, an diesem Abend unwiderstehlich und verführerisch auszusehen. Bis sie auf der Party erschien - die Nachbarin der Gastgeber. Sie war gerade dabei, ihre Wohnung zu renovieren und platzte eher zufällig in das festliche Geschehen, weil sie sich Werkzeug ausleihen wollte. Sie trug zerrissene Jeans und ein ausgeleiertes, mit Farbe beschmiertes T-Shirt. Die Haare hatte sie nachlässig zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Trotzdem strahlte sie die Vollkommenheit in Person aus. Innerhalb kürzester Zeit stand sie im Mittelpunkt der Party und alle hörten interessiert ihren Schilderungen von der Renovierung zu. Ich stand daneben und merkte, wie ich nach und nach verblasste. Schließlich setzte ich mich auf ein Sofa in der Ecke und gab mich geschlagen.
Kürzlich war ich zum Einkaufen im Supermarkt. Da sind sie mir wieder begegnet. Dieses Mal in vierfacher Ausfertigung. Das perfekte Ehepaar mit zwei perfekten, süßen Kinderchen. Ich stand in meinen alten Jeans und der Regenjacke hinter ihnen in der Schlange. Wozu sollte ich mich für einen Einkauf auch besonders zurecht machen? Angesichts ihrer Einkäufe wäre mir beinahe der Schweiß ausgebrochen: zwei turmhoch gefüllte Einkaufswagen. Aber das war kein Problem für die perfekten Menschen. Er, in lässigem Freizeitanzug und sie, in schicken Designerjeans, legten in aller Seelenruhe ihre Einkäufe auf das Band und räumten sie anschließend wieder ein. Nebenbei hielten sie ein kleines Schwätzchen mit der Kassiererin, ab und zu wiesen sie die Kleinen darauf hin, nicht zu viel Unsinn zu machen. All das erledigten sie wie einen netten Sonntagsspaziergang. Ich packte nach ihnen meine Einkäufe auf das Band, hievte sie hinter der Kasse wieder in den Wagen und sah dabei wahrscheinlich eher etwas gestresst und verschwitzt aus.
Ich schob meinen Einkaufswagen aus dem Ausgang in Richtung Parkplatz. Natürlich hatte ich wie immer gerade noch eine winzige Parklücke am äußersten Ende des Parkplatzes gefunden. Erschöpft schob ich den schweren Einkaufswagen weiter, da sah ich sie wieder: Sie hatten selbstverständlich ihr Auto direkt vor dem Ausgang geparkt und packten nun die Einkäufe zwischen nettem Geplauder locker und leicht, wie nebenbei, in den großen Kofferraum der Limousine. Einfach perfekt.

(Juli 2001)


 


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