Gerade vor ein paar Tagen las ich in einer Diskussion über eine
Schauspielerin, sie trüge die Haare immer offen und solle sich doch lieber
einmal eine Frisur machen lassen. Das stimmte mich nachdenklich, denn
bisher war ich der Meinung, dass auch offene (lange) Haare unter den
Oberbegriff "Frisur" fallen. Aber vielleicht irre ich da und man hat nur
dann eine Frisur, wenn man zwecks Herstellung derselben einen Friseur
aufsuchen muss. Nehmen wir einmal an, diese Definition von Frisur und
Nicht-Frisur entspräche den Tatsachen des Lebens. Dann laufe ich also seit
ungefähr sechs Jahren ohne Frisur herum. Das entspricht erst einmal nicht
meinem Beziehungsstatus. Las ich doch vor einiger Zeit, dass ein direkter
Zusammenhang zwischen Heiraten und Haare abschneiden bestünde. Auf gut deutsch: unverheiratete Frauen haben lange Haare, sobald sie jedoch im
Hafen der Ehe angedockt haben, lassen sie sich dieselben abschneiden. Mit
meiner nicht vorhandenen Frisur passe ich mich darüber hinaus auch nicht
meiner Altersgruppe an. Welche bundesdeutsche Durchschnittsfrau über
vierzig trägt schon 60 Zentimeter lang? Und geht nicht mindestens alle
vier Wochen zum Friseur? Ich sollte mir mit zunehmendem Alter ernsthafte
Alternativen zu "lang und glatt" überlegen. Gerade bei meinen Einkäufen im
großen Supermarkt um die Ecke bestaune ich immer wieder zwei weibliche
Wesen mit ganz bemerkenswerten Haarkreationen. In tiefer Ehrfurcht lässt
mich der Typ "Betonfrisur" erstarren. Man kennt ja solche perfekt
liegenden, mit einer Unmenge Haarspray befestigten Frisuren aus der
Vergangenheit. Heutzutage ist dieser Trend meistens nur noch bei älteren
Damen anzutreffen. Das von mir gesichtete Objekt hat diese
Frisurenkreation allerdings bis ins Letzte perfektioniert. Jedes der
schwarzen Haare liegt akkurat neben dem anderen und sie alle wölben sich
wie eine Mütze im exakt ausgemessenen Abstand über dem Kopf. Nicht das
kleinstes Härchen tanzt aus der Reihe, wenn die Dame elegant die Fleisch-
und Wurstwaren aus der Theke angelt. Diese unfassbare Perfektion lässt
mich jedes Mal grübeln, wie viele Stunden täglich die Trägerin wohl
braucht, um sich ausgehfertig zu machen. Vielleicht geht es aber auch ganz
schnell: Haare aufsetzen und fertig! Und da wäre noch das Modell "Blonder
Mopp". Es erinnert mich stark an die brutalen Methoden des
Friseurhandwerks in den 70er- und 80er-Jahren, als man hemmungslos dunkle
Haare in ein Wasserstoffblond verwandelte und zusätzlich die schlaffen
Strähnen zu einem Minipli kräuselte. Die Dame scheint sich jedoch mit
ihrer Haarpracht wohl zu fühlen, denn die seit Monaten unveränderte Frisur
erkläre ich mir mit Wiederholungsbesuchen und äußerster Zufriedenheit mit
ihrem Friseur.
Ich schaue mich weiter um, werde aber noch nicht dem Ratschlag folgen:
"Lass’ dir die Haare abschneiden, spätestens wenn du Vierzig bist, sonst
machst du dich lächerlich."
(Februar 2004)

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