Es gibt Dinge, die ich nicht tun würde, wenn es nicht
unbedingt sein müsste. Nach dem Umzug von der Stadt in die Region war die
Ummeldung meines Autos schon seit einiger Zeit fällig, und die Unterlagen
hatte ich schon längst auf meinem Schreibtisch bereitgelegt. Von dort
schauten sie mich täglich auffordernd an. In letzter Zeit wurde ihr Blick
fast drohend, so dass ich eine Pflanze davor stellte, um ihm zu entgehen.
Aber da man diese Dinge irgendwann einmal erledigen muss, entschied ich
nach dem Aufstehen, dass heute der Tag gekommen war: Das Auto wird endlich
umgemeldet.
Ich suchte meine Unterlagen zusammen und machte mich
auf den Weg zur Zulassungsstelle. Ah ja, da stand schon der Nummernautomat
hinter dem Eingang. Also riss ich erst einmal eine Wartemarke mit der
Nummer 57 ab und setzte mich. Nach ungefähr zehn Minuten, beim fünften
Gong war es dann soweit. Auf der Anzeigetafel erschien: Nummer 57 zu Platz
4. Da saß sie und blickte mir wortlos entgegen, um mich gleich
abzufertigen: Frau Müller-Kiesig, las ich auf dem Schild auf ihrem
Schreibtisch. Ich begrüßte sie freundlich mit „Guten Morgen, ich möchte
gern mein Auto ummelden“. Irgendetwas musste ich schließlich sagen, auch
wenn es fast selbstverständlich war, was ich von ihr begehrte. Sie fand
das anscheinend völlig überflüssig, denn von ihr kam nur ein ungeduldiges
„ja“, hinter dem so etwas wie „was sollten Sie denn sonst hier wollen, nun
machen Sie schon“ zu stecken schien. Soso, wie war noch mal ihr Name?
Müller-Kiesig? Nein, das konnte wohl nur ein Schreibfehler sein, entschied
ich. Ihr Name musste Müller-Kiebig* lauten. Müller-Zickig hätte auch
gepasst, dachte ich noch, als ich sie betrachtete. Frau Müller-Kiebig war
wahrscheinlich unzufrieden mit sich selbst, in ihrer blau-bunten
Karobluse, dem beigefarbenen Rock und der Hochsteckfrisur für ältere Damen
sah sie mindestens 20 Jahre älter aus als sie tatsächlich war.
Nachdem Frau Müller-Kiebig die Unterlagen gesichtet
und alles in ihren Computer eingetippt hatte, speiste sie die Daten in
eine Chipkarte ein. Die überreichte sie mir mit den Worten „zum
Kassenautomaten und dann wieder zu mir“. Ein vollständiger Satz hätte sich
viel netter angehört, dachte ich, als ich brav zum Kassenautomaten trabte.
Ich schob die Karte ein, zahlte den geforderten Betrag und erhielt eine
Quittung. Tolle Erfindung, so ein Automat. Man spart natürlich das
Kassenpersonal. Meiner Meinung nach hätte man aber besser in
Mitarbeiterschulungen zum Umgang mit Kunden investieren sollen anstatt in
diesen Automaten. Ich legte dann Frau Müller-Kiebig die Quittung auf den
Tisch, sie schob eine Menge Dokumente durch den Drucker und schließlich
erhielt ich meine Unterlagen. „SchildermachenlassenzumblauenHäuschen“. Wie
bitte??? „Und danach?“, fragte ich, denn ich dachte, ich müsste mit den
neuen Schildern sicher wieder bei ihr oder einem anderen Schalter
vorsprechen. „SchildermachenlassenzumblauenHäuschen“. Auch die
Wiederholung ihrer Anweisung brachte mir nicht die erforderliche Klarheit.
Ich fragte also noch einmal nach: „Wo muss ich denn hin, wenn ich die
Schilder habe?“ Entnervt sagte sie, ich müsse zum blauen Häuschen und
deutete aus dem Fenster nach rechts in Richtung Ausfahrt. „Dort werden sie
abgestempelt“, tönte es hinter mir. Dort standen schon die nächsten Kunden,
die sich über meine Unwissenheit anscheinend köstlich amüsierten. „Und
dann einsteigen und nach Hause fahren“, setzte Frau Müller-Kiebig noch
überheblich grinsend hinzu. Witzig, witzig, woher soll ich denn wissen,
was sich im blauen Häuschen verbirgt und wie das Ganze hier abläuft. Ich
erinnere mich noch sehr deutlich an denselben Vorgang an einem anderen
Ort, dort musste ich nämlich mit den Schildern wieder zurück zu einem
Schalter. Und dort waren alle sehr freundlich und erklärten ohne gefragt
zu werden, was man als nächstes tun müsse.
Kopfschüttelnd über so viel Ignoranz verließ ich
erleichtert das Gebäude und ging zum Schildermacher. „Ja, bitte.“ Na,
diese Dame am Tresen konnte es ja locker mit Frau Müller-Kiebig aufnehmen.
Ich legte die 27 Euro für die neuen Schilder auf den Tisch und hatte sie
dann schon eine Minute später in der Hand. Nun kam also das berüchtigte
blaue Häuschen dran. Auch der Kollege dort drinnen war sehr wortkarg.
Hoffentlich ist das keine ansteckende Krankheit, die in der Gegend
grassiert. Ich erhielt die Nummernschilder wieder zurück, jetzt mit den
notwendigen Plaketten versehen. Doch mir ging noch etwas durch den Kopf.
Wollte er nicht die alten Schilder haben oder vielmehr musste er sie nicht
sogar einziehen? Gesagt hat er – natürlich – nichts. Also fragte ich, was
denn mit den alten Schildern sei. „Ach ja, die können Sie mir geben“, war
seine Antwort. Was soll das nun wieder bedeuten? Ich kann sie ihm geben
und er entsorgt sie freundlicherweise für mich? Wahlweise kann ich sie
auch mit nach Hause nehmen und an die Wand hängen? „Ich kann, muss aber
nicht?“, bohrte ich daher noch einmal nach. „Doch, doch, die muss ich
entwerten.“ Aha, also doch. Warum nicht gleich so. Ich frage mich, was
passiert wäre, wenn ich total ahnungslos weggefahren wäre, ohne die alten
Schilder dazulassen.
So, das wäre geschafft, dachte ich mir. Aber falsch
gedacht. Ich musste noch die Nummernschilder austauschen. Nachdem ich vor
drei Jahren zunächst etwas hilflos auf die Kunststoff-Halterungen geschaut
hatte, wusste ich seit damals, wie das funktionierte. Dachte ich. Denn
nach dem Unfall im letzten Jahr hatte die Werkstatt vorn eine neue
Halterung angebracht, die (natürlich!) nach einem anderen Prinzip
funktionierte als die vorherige. Nach fünf Minuten probieren und daran
herumzerren gab ich erst einmal auf und parkte das Auto um. Es stand
nämlich so ungünstig, dass sowohl vor als auch hinter mir die Leute
vorbeiliefen. Es war mir zu peinlich, mitten auf dem Parkplatz vor dem
Auto zu hocken und wie eine Verrückte an der Halterung zu zerren. Es hätte
sowieso keiner seine Hilfe angeboten, da war ich mir sicher. Ich weiß
noch, dass die Schildermacher an einem anderen Ort als Service auch die
Montage angeboten haben. Das gab es hier natürlich nicht. Also weiter
probieren, irgendwie musste ich es schaffen. Ich hatte natürlich auch kein
Werkzeug dabei oder etwas, das ich als Werkzeug „missbrauchen“ konnte. Das
einzig Brauchbare, das ich fand, war ein Markstück, das ich für den
Einkaufswagen immer im Auto liegen habe. Mein erster Ansatz zum Lösen der
Halterung war übrigens richtig gewesen, allerdings funktioniert es nur,
wenn man mit aller Kraft daran zieht. Nachdem ich das herausgefunden hatte
und wusste, dass ich nicht wirklich etwas kaputtmachen konnte, klappte es
endlich. Mit dem hinteren Nummernschild ging es dann einfacher, denn
dieses System kannte ich ja bereits. Endlich geschafft! Die Schilder waren
ausgetauscht und die Hände total schmutzig. Jetzt musste ich nur noch beim
Hinausfahren am blauen Häuschen anhalten und die alten Schilder abgeben.
Meine Verabschiedungsworte „Auf Wiedersehen“ wurden mit einem wortlosen
Gruß beantwortet. Mit glänzendweißen, neuen Nummernschildern und
rabenschwarzen, verschmierten Händen verließ ich schließlich die
gastfreundliche Stätte.
* falls jemandem der Ausdruck "kiebig" nicht geläufig
sein sollte, der Duden sagt dazu: landschaftlich für zänkisch, schlecht
gelaunt, frech, prahlerisch, aufbegehrend
(April 2002)

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